Lieferkettengesetz

Das ganze Unternehmen ist gefordert

 

Guter Wille reicht nicht mehr: Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hat aus bislang freiwilligen Selbstverpflichtungen zu Umweltschutz und Menschenrechten in Deutschland eine gesetzliche Auflage gemacht. Wie gehen Unternehmen damit um und was können diejenigen tun, die das Gesetz aktuell noch nicht erfüllen?

 

Wirklich gut vorbereitet auf das neue Gesetz fühlte sich im Rahmen unserer Risikomanagementstudie nur etwa ein Drittel der Befragten. Das ist, acht bis zehn Wochen vor Inkrafttreten der Neuregelung, kein besonders überzeugender Wert. Die große Verunsicherung lässt sich indes nicht allein mit der Komplexität der Aufgabe begründen.

 

Praxis-Handreichung der BAFA erst im August veröffentlicht

So kam etwa die Handreichung des zuständigen Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zur Risikoanalyse erst im August 2022, als viele Unternehmen bereits mit ihren Lieferkettenanalysen begonnen hatten. Die Vorschriften, wie der künftige Jahresbericht aussehen solle, und Informationen zu Angemessenheit, Wirksamkeit und Beschwerdeverfahren wurden erst im Oktober 2022 veröffentlicht. Inhaltlich waren die Informationen, so monierten alle Gesprächspartner:innen unserer Einzelinterviews, nicht in jedem Punkt eindeutig und präzise.

„Wir haben Ende 2021 begonnen, da war noch gar nicht klar, was die BAFA wollte. Also ist man gegen ein Moving Target gelaufen, das war eine Herausforderung,“ sagte etwa die Einkaufsverantwortliche eines Medienunternehmens. Und der Einkaufschef eines Softwarekonzerns bemängelte: „Leider ist der Interpretationsspielraum bei der Gesetzgebung so groß, dass ich gar nicht weiß, mit welchen Ressourcen ich das LkSG umsetzen muss, um gesetzeskonform zu handeln. Da gibt es doch sehr viel Interpretationsspielraum.“ „Wir haben das Gefühl, dass auch auf der Gesetzgeberseite noch Unklarheiten bestehen“, brachte ein Einkaufsmanager eines global agierenden Energietechnikherstellers seine Skepsis auf den Punkt.

 

 

77%

Zeitlicher Aufwand

57%

Begrenzter Einfluss auf Lieferanten

45%

Fehlende Fachkenntnisse

 

/ Welche Maßnahmen wurden für das LkSG bereits ergriffen? In welchem Stadium befinden sich derzeit die Maßnahmen? (Mehrfachnennung möglich)

 

Auf dem Weg zur LkSG-Konformität

Laut unserer Studie hatten zum Umfragezeitpunkt rund zwei Drittel der Befragten Menschenrechts- und Umweltrisiken in ihrem eigenen Geschäftsbereich analysiert und die vom Gesetz geforderte Grundsatzerklärung verabschiedet. Jeweils etwa 60 Prozent hatten die LkSG-Vorgaben in ihrem Risikomanagement verankert und konforme Beschaffungs- und Warengruppenstrategien entwickelt. Rund die Hälfte der Studienteilnehmer:innen hatte begonnen, die Mitarbeitenden zu trainieren.

„Gerade am Anfang haben wir extrem viel Zeit gebraucht, um unsere Mitarbeitenden, besonders auch die Führungskräfte, überhaupt für das Thema zu sensibilisieren. Was ist Nachhaltigkeit? Warum Nachhaltigkeit? Das hört sich immer so simpel an, aber allein der Prozess hat viel Zeit in Anspruch genommen“, erinnerte sich die Nachhaltigkeitsmanagerin eines IT-Konzerns. Besonders in der Pflicht sei natürlich der Einkauf, doch auch die anderen Fachbereiche müssten Kompetenzen aufbauen: „Letztlich sind es die Abteilungen, die sich die Gedanken machen, wie wir das umsetzen“, so der oben zitierte Einkaufsmanager des Energietechnikherstellers.

Als größte Herausforderung sahen die Studienteilnehmer:innen den hohen zeitlichen Aufwand (77 Prozent). Dass sie nur einen begrenzten Einfluss auf ihre Lieferanten haben, gaben 57 Prozent zu bedenken, während jeweils 45 Prozent fehlende Fachkenntnisse und mangelnde Transparenz als Problem nannten.

Nur 34 % der Unternehmen fühlten sich für das Inkrafttreten des LkSG gut vorbereitet.

 

Digitalisierung für den Überblick

Lösungen erhoffen sich die Verantwortlichen von digitalen Tools. Fast alle Ansprechpartner:innen schilderten in den vertiefenden Interviews, dass sie mit Software arbeiten, um ihre komplexen Liefernetzwerke zu durchleuchten und die enormen Datenmengen zu verarbeiten. In der Regel setzen die Unternehmen dazu Software von Anbietern ein, die auf Nachhaltigkeit und/oder Risikomanagement spezialisiert sind.

„Ohne ein digitales Hilfsmittel kann man der Komplexität nicht Herr werden. Das heißt, man braucht irgendwo einen Datensammler, der die ganzen Informationen erfasst und verdichtet. So verdichtet, dass ich auch weiß, wo ich hinschauen muss, wo vielleicht ein Verdacht besteht“, erläuterte etwa der Einkaufsleiter und Nachhaltigkeitsexperte eines Elektrogeräteherstellers. Wie wichtig funktionierende Schnittstellen sind, betonte der Einkaufsverantwortliche des Softwarekonzerns: „Es muss eine sehr einfache Kommunikationsplattform aufgesetzt werden, weil die Lieferanten von Tausenden von Kunden zu diesen Themen befragt werden. Gleichzeitig müssen sie dann sämtliche Daten zur Verfügung stellen können, mit Zertifikaten etc. Das muss alles sauber in einer Kommunikationsplattform zusammengetragen werden, sodass auch durch diese Netzwerkeffekte die relevanten Daten End-to-End zur Verfügung stehen.“

Folgende Handlungsempfehlungen lassen sich aus der Umfrage und den Interviews ableiten:



1. Planen Sie genügend Zeit ein – wer ab 2024 das LkSG erfüllen muss, sollte jetzt mit der Vobereitung anfangen!

2. Sensibilisieren und schulen
Sie Ihre Mitarbeitenden

3. Bilden Sie fachübergreifende Teams aus Einkauf, Rechtsabteilung, IT und Finance

4. Entwickeln Sie Konzepte zur Operationalisierung in den Fachabteilungen, überprüfen Sie Warengruppenstrategien und Lieferantenportfolio in kritischen Bereichen

5. Investieren Sie in geeignete Software

6. Kooperieren Sie mit Ihren Lieferanten und, sofern möglich, auch mit Wettbewerbern

 

Nachhaltigkeitspioniere im Vorteil

Unternehmen, die sich bis zur Verabschiedung des LkSG kaum oder noch gar nicht mit Nachhaltigkeitsfragen befasst hatten, sahen sich gegenüber denjenigen, die schon vor einigen Jahren eine erste Strategie verabschiedet hatten, klar im Nachteil. „Umwelt- und Menschenrechtsstandards sind Kernbestandteil der Anforderungen an unsere Zulieferer. Wir haben diese Anforderungen schon immer im Code of Conduct für Businesspartner veröffentlicht. Den haben wir um die Themen ergänzt, die jetzt aus dem LkSG kommen, die wir vorher noch nicht adressiert hatten. Aber vom Grundsatz her sind Umwelt- und Menschenrechtsstandards schon lange Anforderungen, wir auditieren Lieferanten in diese Richtung auch schon seit zehn Jahren“, betonte etwa die Einkaufs- und Supply Chain Managerin eines Automobil- und Elektronikkonzerns.

Andererseits hat das Gesetz in vielen Unternehmen Augen geöffnet, etwa durch die Neudefinition des Risikobegriffs: „Durch das LkSG muss man ja diesen Perspektivwechsel vornehmen, man muss schauen, welche Risiken gehen von uns aus. Und da mussten wir natürlich erst mal selbst verstehen, wie unsere Lieferketten aussehen,“ schilderte die Nachhaltigkeitsmanagerin aus der IT- Branche. Bei anderen hat das Gesetz den Anspruch geweckt, mehr als nur das unbedingt Notwendige zu tun, wie die Prozessmanagerin eines Maschinenbau-Unternehmens betonte: „Wir wollen natürlich im ersten Schritt die Mindestanforderungen abdecken und sobald das im Unternehmen verankert ist und auch eine gewisse Routine besteht, dann wollen wir natürlich auch die Transparenz in der Lieferkette erhöhen und Einfluss auf die gesamte Lieferkette nehmen bzw. auch unsere Lieferanten entsprechend steuern und monitoren.“ //

 

Risikomanagementstudie und Masterthesis

Ergänzend zur Umfrage, an der 119 Einkaufsverantwortliche und Geschäftsführer:innen teilnahmen, führte unser Masterand Niklas Ziegler im Rahmen seiner Masterthesis Experteninterviews mit Führungskräften, um herauszufinden wie es um die Vorbereitung für das Lieferkettengesetz kurz vor Inkrafttreten bestellt war – die Untersuchung fand von Oktober bis Dezember 2022 statt. Handlungsempfehlungen finden Sie in unserem Whitepaper.

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FAZIT

Auch Unternehmen, für die das Gesetz (noch) nicht oder nur mittelbar – als Lieferant größerer Kunden – gilt, sollten sich intensiv mit den Regelungen des LkSG auseinandersetzen und ihre Lieferkette durchleuchten. Denn Unternehmen müssen für ihre Mitarbeitenden einen klaren Handlungsrahmen schaffen, um den Anforderungen im Businessalltag gerecht zu werden, zumal manche Vorgaben nicht klar formuliert sind. Abwarten ist die falsche Strategie: Die Europäische Union plant bereits die Erweiterung des Gesetzes. Anfang Juni hat das EU-Parlament den Entwurf verabschiedet. Dieses Gesetz wird dann EU-weit alle nationalen Regelungen – so auch das LkSG – ersetzen. Unternehmen, die jetzt ihre Mitarbeiter:innen sensibilisieren, Wissen aufbauen, die geeigneten Tools für das Monitoring auswählen und auf ihre Lieferanten zugehen, sind dann klar im Vorteil.

Autoren

Stefan Benett

ist Geschäftsführer im Münchener Büro von INVERTO. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Berufserfahrung im Bereich Einkauf und Operational Excellence. Als Experte für  Einkaufstransformation entwickelt er zukunftsorientierte Einkaufsstrategien für produzierende Unternehmen sowie Unternehmen der Energiewirtschaft.

contact@inverto.com

Gökhan Yüzgülec

ist Managing Director bei INVERTO in Hamburg und betreut überwiegend Unternehmen aus der Automobilbranche sowie der Medizintechnik. Der promovierte Maschinenbauingenieur ist Experte für Supplier Relationship Management.

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