Unsere aktuelle Risikomanagementstudie zeigt sehr deutlich, dass Nachhaltigkeitsrisiken zwar ein größeres Gewicht bekommen, Liefersicherheit angesichts der massiv auftretenden Engpässe jedoch deutlich stärker priorisiert wird als alle anderen Aspekte. Um Versorgungssicherheit zu gewährleisten, sollten Unternehmen gegenüber ihren Lieferanten präzise Abnahmemengen benennen und bei unvermeidbaren Kostensteigerungen auf fairen Ausgleich bedacht sein. Nachhaltigkeitskriterien sollten klar definiert werden und in Lieferantenbewertung, Beschaffungsstrategie sowie das Risikomanagement einfließen. So ist gewährleistet, dass Unternehmen ihre eigenen Nachhaltigkeitsziele erreichen und auch die Anforderungen des Lieferkettengesetzes erfüllen.
… damit lassen sich die Resultate unserer aktuellen Risikomanagementstudie auf den Punkt bringen. Neun von zehn Befragten waren im vergangenen Jahr von Lieferausfällen betroffen. Dennoch stagnierte die Zahl derer, die in strategisches Risikomanagement und entsprechende digitale Lösungen investierten.
Angesichts der Turbulenzen auf fast allen Liefermärkten hatten wir damit gerechnet, dass Unternehmen digital gestütztes Risikomanagement weiter ausbauen. Doch die Zahl derer, die strukturiertes Risikomanagement betreiben und mit Software steuern, ist im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert. Dabei erwarten fast 90 Prozent der Teilnehmer:innen, dass das Risikomanagement im Einkauf künftig relevanter wird. Offenkundig waren viele Einkaufsabteilungen so intensiv damit beschäftigt, die Versorgung mit zentralen Gütern sicherzustellen, dass für Strategie und Weiterentwicklung kein Raum blieb.
90 Prozent der Studienteilnehmer:innen berichten von Lieferausfällen innerhalb der vergangenen sechs Monate. Als Hauptgründe nennen sie Kapazitätsengpässe bei den Lieferanten (93 Prozent) oder Flaschenhälse in der Logistik (83 Prozent). Coronabedingte Fabrikschließungen spielten bei fast der Hälfte der Befragten eine Rolle.
Kaum Hoffnung auf Besserung
Fast niemand rechnet mit einer baldigen Besserung der Situation, im Gegenteil: 93 Prozent bezeichnen Lieferrisiken auch für 2022 als die größte Bedrohung für ihr Unternehmen. Auf den Plätzen zwei und drei rangieren Preisrisiken mit 78 Prozent und steigende Energiekosten mit 63 Prozent. Der Anteil derer, die Preisrisiken als Gefahr sehen, hat sich im Vergleich zum Vorjahr um 46 Prozentpunkte mehr als verdoppelt. Inzwischen sind die Sorgenfalten der Entscheider vermutlich noch einmal deutlich tiefer geworden. Zum Zeitpunkt der Umfrage war der Krieg in der Ukraine noch nicht vorstellbar.
Gegenüber diesen Herausforderungen rücken nahezu alle anderen Aspekte des Risikomanagements in den Hintergrund. In Risiken im Hinblick auf Qualität, Nachhaltigkeit oder Compliance sehen zurzeit weniger als 20 Prozent echte Bedrohungen. 39 Prozent der Befragten äußerten Bedenken, dass der Ausfall einzelner Lieferanten ein Problem für das eigene Geschäft werden könnte – das sind 17 Prozent weniger als im vergangenen Jahr.
Offensichtlich haben viele Unternehmen ihre Lieferquellen diversifiziert, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Laut unserer Studie arbeiten fast 80 Prozent der Teilnehmenden inzwischen konsequent mit mindestens zwei Lieferanten. Doch für diejenigen, die sich Sorgen um die Stabilität einzelner Lieferanten machen, wiegt dieses Risiko augenscheinlich schwer. So hat sich die Zahl derjenigen, die Lieferanten aktiv unterstützen, von elf auf 21 Prozent fast verdoppelt.
/ „Inwieweit stellen die folgenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen derzeit ein Risiko für Ihr Unternehmen dar?“
Bewährte Lösungen bevorzugt
Um Liefersicherheit zu gewährleisten, greifen Einkäufer mehrheitlich auf Bewährtes zurück: Sie verhandeln langfristige Rahmenverträge und erhöhen die Lagerbestände – für Letzteres ergibt sich ein Plus von 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Größere Sicherheitslager sind als schnelle Reaktion auf eine drohende Knappheit zwar nachvollziehbar. Als Dauerlösung sind sie aber erstens teuer, weil sie Kapital binden, und zweitens haben sie das Potenzial, den Markt zu verzerren. Es droht der befürchtete Bullwhip-Effekt: wenn viele über den tatsächlichen Bedarf hinaus Waren bestellen, um das Lager zu füllen, wird eine künstliche Knappheit erzeugt, die sich in steigenden Preisen niederschlägt. Ein präziseres Forecasting verbunden mit Abnahmezusagen an die Lieferanten ist hier die bessere Lösung.
Bei der Verwirklichung von Dual oder Multiple Sourcing Strategien spielt, wie wir in unseren Projekten wahrnehmen, Nearshoring immer häufiger eine Rolle. Das gilt selbst für Warengruppen, in denen das vor der Pandemie unrealistisch erschien, zum Beispiel Elektronikbauteile. Der Trend zur Beschaffung in Europa mag eine Konsequenz des Lieferkettengesetzes sein. Jedoch gehen Unternehmen auch vermehrt zu Betrachtungen der Total Cost of Ownership über. Lieferanten, zum Beispiel in Osteuropa oder der Türkei, produzieren häufig flexibler als asiatische Anbieter, sie akzeptieren kleinere Abnahmemengen und der Lieferweg ist deutlich kürzer. Diese Vorteile können höhere Stückpreise aufwiegen, etwa weil es weniger Restposten gibt oder weil eine unerwartet hohe Nachfrage schneller befriedigt werden kann. Ob der Ukraine-Krieg den Trend zum Nearshoring wieder im Keim erstickt, lässt sich zurzeit noch nicht seriös einschätzen.
Nachhaltigkeit für fast die Hälfte der Befragten wichtig
Das Lieferkettengesetz, das für Anwendung der UN-Nachhaltigkeitsregeln in der Supply Chain sorgen soll, spielt für knapp die Hälfte der Befragten eine Rolle (44 Prozent). Die Mehrheit von ihnen setzt zurzeit konkrete Maßnahmen um. Dazu zählen zum Beispiel direkte Gespräche mit Lieferanten sowie die Einbindung von Standards in das eigene Risikomanagement und die Definition von Maßnahmen bei Nichteinhaltung.
33 Prozent der Studienteilnehmer:innen sagten, das Lieferkettengesetz spiele für sie keine Rolle. Wir raten jedoch auch jenen, die noch nicht von den Regelungen betroffen sind, zur Vorsorge: Kunden, die die Neuregelung anwenden müssen, fordern von ihren Lieferanten Konformität. Zudem hat jetzt auch die Europäische Union einen Gesetzentwurf zum Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsstandards in der Lieferkette vorgelegt. Dieser fällt – wie mehrheitlich erwartet – deutlich schärfer aus als das deutsche Gesetz und betrifft einen weitaus größeren Kreis von Unternehmen.
Bei Nachhaltigkeitsrisiken spielt die Reduktion des eigenen CO2-Fußabdrucks für die befragten Unternehmen die wichtigste Rolle (70 Prozent), gefolgt von Umweltschäden durch Produktionsmethoden (51 Prozent) sowie die Einhaltung von Arbeitnehmerrechten (42 Prozent). Transparenz in der Lieferkette ist die zentrale Voraussetzung, um diesen Risiken zu begegnen. Auf dieser Basis lassen sich Nachhaltigkeitsrisiken in die Lieferantenbewertung integrieren und Maßnahmen definieren. Die Bewertung von Lieferanten und Warengruppen sollte sowohl in die Beschaffungsstrategie als auch in das Risikomanagement einfließen.
/ „Waren Sie in den letzten 6 Monaten von Versorgungsengpässen betroffen? Wenn ja, was waren die Hauptgründe?“
- 90%: Ja
- 4%: Nein
- 6%: Keine Aussage möglich
Der Krieg in der Ukraine wird die ohnehin vorhandenen Versorgungs- und Preisrisiken weiter verschärfen. Kurzfristig sollten Unternehmen bei Lieferausfällen priorisieren und die margenstärksten Produkte bevorzugen. In Einzelfällen kann es sein, dass eine Produktion eingestellt werden muss, wenn nicht mehr kostendeckend produziert werden kann und eine Weitergabe der Kosten unrealistisch ist.
Angesichts der drastisch gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise ist es aktuell nahezu unmöglich, Preissteigerungen zu verhindern. Dennoch sollten Einkäufer:innen versuchen, Kostensteigerungen auszubalancieren. Preisforderungen sollten hinterfragt werden; Cost Break Downs und Should Costing sind wirksame Strategien, um die Zusammensetzung von Preisen zu verstehen – und damit auch, um zu erkennen, ob und in welchem Rahmen eine Preissteigerung ihre Berechtigung hat. Design to Cost Maßnahmen und Materialsubstitutionen können ein wirksames Mittel sein, um Kostensteigerungen entgegenzuwirken.
Bei allem Ärger über die Kostenspirale sollten Verhandler:innen auf einen fairen Ausgleich bedacht sein: Massiv gestiegene Kosten allein auf den Lieferanten abzuwälzen, ist bei der aktuellen Instabilität der Lieferketten sicher nicht das Mittel der Wahl. Sinnvoller ist eine enge Abstimmung mit dem Vertrieb, um unabdingbare Kostensteigerungen nicht nur zu akzeptieren, sondern auch an die eigenen Kunden weiterzugeben.
/ „Welche Nachhaltigkeitsrisiken spielen für Sie eine Rolle?“