Umstrittenes Lieferkettengesetz: Firmen halten Anforderungen für „realisierbar“
Führungskräfte sehen sich einer neuen Studie zufolge gut aufgestellt, die EU-Lieferkettenrichtlinie umzusetzen. Auch aus der Wissenschaft kommt mehrheitlich Zuspruch.
Der Ruf des europäischen Lieferkettengesetzes in den Chefetagen der Unternehmen könnte besser sein als weitläufig behauptet. Das geht aus einer Studie von Inverto, einem auf Lieferketten spezialisierten Tochterunternehmen der Boston Consulting Group hervor. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet.
In einer Befragung deutscher sowie französischer Firmen mit mindestens 500 Beschäftigten fühlen sich über drei Viertel der 600 befragten Geschäftsführer, Managerinnen und Vorstände „gut aufgestellt“, um die EU-Richtlinie umzusetzen. 78 Prozent der Firmen halten die Anforderungen für „realisierbar“ und rechnen nur mit „leichten bis moderaten“ Kostensteigerungen.
Mittel- bis langfristig rechnen sogar drei Viertel der befragten Verantwortlichen mit zusätzlichen Einnahmen durch europaweit einheitliche Regeln. Etwa weil transparente Lieferketten ein Wettbewerbsvorteil seien und der EU-Binnenmarkt vor Marktteilnehmern geschützt würde, die zugunsten ihrer Profitabilität und zulasten von Mensch und Umwelt agierten.
Menschenrechte und Umweltschutz würden leiden, wenn das EU-Lieferkettengesetz in Gänze im EU-Rat abgelehnt würde.
Clara Brandi, Professorin am Institut für internationale Wirtschaftspolitik der Universität Bonn
Verbände fürchten bürokratische Überforderung
In Verbänden deutscher Unternehmen wird das Gesetz dagegen weiter kritisch beäugt. Eine breite Allianz von Wirtschaftsverbänden aus unter anderen dem Maschinenbau, der Chemie und dem Handel hat zu Wochenbeginn die Bundesregierung und andere Mitgliedsländer dazu aufgerufen, die „praxisfremde EU-Lieferkettenrichtlinie“ zu stoppen.
Auch der BDI, der Spitzenverband der Industrie, hat am Donnerstag eine Umfrage unter 400 Industrieunternehmen zur Umsetzung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG) veröffentlicht. Der zufolge gibt rund ein Drittel der Firmen an, dass der bürokratische Mehraufwand „sehr hoch“ oder „hoch“ sei. BDI-Präsident Siegfried Russwurm sagte anlässlich der Ergebnisse, das LkSG bringe „viele Betriebe, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, an den Rand der Verzweiflung.“ Das deutsche Gesetz gilt seit Januar 2024 auch für Firmen ab 1000 Beschäftigten. Die europäische Richtlinie würde schon ab einer Grenze von 500 Mitarbeitenden gelten.
Forschung: Kritik basiert auf falschem Verständnis der Auswirkungen
In der Wissenschaft wird der Kompromiss der Trilog-Verhandlungen im Dezember mehrheitlich als Durchbruch gewertet. Auch die Kritik einer unverhältnismäßig hohen bürokratischen Belastung ist zahlreichen Forschenden zufolge nicht haltbar. „Gerade im Verhältnis zum deutschen Gesetz ist es irreführend, von einem erhöhten bürokratischen Aufwand zu sprechen“, sagt etwa Peter Gailhofer vom Öko-Institut. Die Richtlinie würde den Umsetzungsaufwand vieler Firmen aus seiner Sicht gar erleichtern, da sie keine zusätzlichen Berichtspflichten mehr vorsieht, sondern diese mit bestehenden Vorgaben verzahnt.
Clara Brandi, Professorin für Internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn, empfiehlt als Entgegenkommen für zusätzliche Aufwände, kleine und mittlere Unternehmen zu entlasten. „Das wäre ein hilfreiches Signal an die Kritiker:innen des Gesetzes“, sagte Brandi.
Anfang Februar sollen im EU-Rat die Mitgliedstaaten final über die Richtlinie abstimmen. Sollte sich Deutschland – wie von der FDP nach einem Beschluss des Präsidiums gefordert – enthalten, steht eine Mehrheit auf der Kippe. Die Einigung zum Abstimmungsverhalten der Bundesregierung steht noch aus.
Quelle: Tagesspiegel vom 26.01.2024
Autoren: Felix Kiefer