Durch Should Costing zu fairen Einkaufspreise

Lieferanten wissen mehr über ihre Produktionskosten als ihre Kunden. Mit Should Costing können Einkäufer komplexer Zulieferprodukte inadäquate Konditionen jedoch vermeiden.

Im Einkauf faire Preise zu definieren, ist für Anbieter und Abnehmer oft schwierig. Der Drang des Kunden, möglichst günstig zu beschaffen, und der Wunsch des Lieferanten, möglichst große Margen zu erreichen, sind schlicht und einfach Ziele, die einander ausschließen. Dabei ist der Lieferant im Vorteil, hat er doch einen Informationsvorsprung, was seine Produktionskosten und Aufwände angeht. Genau dieser Vorsprung kann zu überhöhten Einkaufspreisen führen. Langfristig besteht das Risiko, dass Verbesserungen, die beiden Seiten helfen, gar nicht erst angegangen werden.

Aufgabe des Einkaufs ist es daher, den Wissensunterschied zum Lieferanten abzubauen, um auf Basis zusätzlicher Informationen den angemessenen Preis für ein Produkt zu ermitteln und die Zusammenarbeit mit dem Lieferanten auf ein neues Level zu heben.

Doch was können Einkäufer tun? Versuche, die Preisstruktur und die Produktionskosten von Lieferanten selbst aufzuschlüsseln, scheiterten früher oft daran, dass eine solche Analyse immens aufwändig ist. Zu vielfältig sind die Faktoren, die den Endpreis eines Produktes beeinflussen.

Aber neue Zeiten bringen neue Möglichkeiten mit sich: Datenanalyse ist heute einfacher als je zuvor.  Bis etwa zur Jahrtausendwende konnten nur Großkonzerne mit hohen technischen und finanziellen Ressourcen die komplizierten Rechenmodelle umsetzen, um ihren Zulieferern gegenüber Vorteile zu erringen. Im Zeitalter von Big Data sieht das anders aus.

Should Costing legt erhebliche Einsparpotenziale offen

Mit Hilfe von Should Costing können Kunden detaillierte Analysen der Kostenstruktur ihrer Lieferanten anfertigen und durch den Vergleich von realen und geforderten Preisen Kosten im zweistelligen Prozentbereich sparen. Die Höhe der erzielbaren Einsparungen ist dabei stark von der Ausgangssituation und den eingekauften Komponenten abhängig und liegt – so die Erfahrung aus INVERTO-Projekten – durchschnittlich bei 14 Prozent. Die Methode ist nicht für jedes Unternehmen und jede Branche geeignet. Besonders profitieren können Sektoren mit wenigen Zulieferern und wenig austauschbaren Komponenten oder monopolistischen Lieferantenstrukturen, wie sie etwa in einigen Bereichen der Automobilbranche vorliegen.

Im Should Costing bewerten Einkäufer zunächst isoliert die einzelnen Kostenfaktoren eines Produkts. Dazu gehören zum Beispiel Rohmaterialien und einzelne Komponenten. Außerdem kommen Arbeitsstunden, Produktionsanlagen, die Montage der Einzelkomponenten sowie der Transport dazu. Natürlich muss der Auftraggeber auch die Durchlaufzeiten und Stückzahlen berücksichtigen, die der Lieferant produziert.

Um diese produktionsspezifischen Kostenbestandteile beurteilen zu können, sind tiefes Know-how und Einblick in die Produktionsgegebenheiten notwendig – Wissen, das im eigenen Unternehmen oftmals nicht vorliegt. Lohnkosten etwa unterscheiden sich je nach Produktionsort. Auch das Produktionsverfahren spielt eine Rolle: Wie modern und effizient sind die Maschinen? Welchen Sicherheits- und Umweltstandards muss die Fabrik entsprechen?

Bei Standardkomponenten können am Markt vorhandene Kostendatenbanken helfen. An produktions-spezifische Informationen für nicht standardisierte Bauteile hingegen kommen Unternehmen, indem sie eng mit dem Lieferanten zusammenarbeiten. Falls der Lieferant nicht auskunftsfreudig ist, kann eventuell die Anfrage bei einem Konkurrenten weiterhelfen. Darüber hinaus gibt es externe Fachleute, die eine realistische Bewertung auf Basis jahrelanger Expertise abgeben können. 

Hat man alle Kosten aufgeschlüsselt, wird im nächsten Schritt die Marge des Lieferanten errechnet und bewertet. Diese sollte natürlich fair sein – aber was bedeutet fair in diesem Zusammenhang? Bei der Bewertung hilft die Analyse der aktuellen Margensituation des Lieferanten sowie der Vergleich mit passenden Peer Groups, etwa Unternehmen aus derselben Branche und mit ähnlicher Größe.

Should Costing bietet Chancen zur besseren Kooperation

Wenn die Analyse zeigt, dass der Lieferant keine angemessenen Konditionen bietet, sollte dies im Gespräch gemeinsam erörtert werden. Konfrontation und Druck sollten dabei nicht die Mittel der Wahl sein, vielmehr gilt es zu klären, warum ein Lieferant einen überhöhten Preis fordert. Should Costing sollte nicht als Druckmittel gesehen werden, sondern als eine Möglichkeit für beide Seiten, effizienter zusammen zu arbeiten.

5 Schritte zu einer erfolgreichen Anwendung von Should Costing

  • Je mehr Informationen über das einzukaufende Produkt verfügbar sind, desto besser können Sie die Herstellkosten kalkulieren. Bei unzureichender Informationslage sollten Sie dafür auf Experten zurückgreifen.
  • Getroffene Annahmen und Kostenpositionen müssen fundiert, aktuell und erklärbar sein, ansonsten diskreditieren Sie Ihre gesamte Analyse und verlieren Ihre Glaubwürdigkeit gegenüber den Lieferanten.
  • Vernachlässigen Sie nicht die Analyse der Gemeinkostenverteilung. Zwar ist der Kostenblock absolut gesehen recht klein, bietet aber prozentual oftmals das größte Potential.
  • Übersenden Sie Ihre eigenen Berechnungen nicht gleich zu Beginn der Gespräche, sonst geben Sie die Argumentationsführung aus der Hand. Gehen Sie stattdessen gemeinsam mit dem Lieferant Kostenblock für Kostenblock durch und tauschen Sie Informationen nach und nach aus.
  • Lassen Sie in der Diskussion mit dem Lieferanten ihre eigenen Spezialisten teilnehmen, die auf Fachebene über die Kostenbestandteile und die dahinter liegenden Annahmen diskutieren können.

Einfache Aspekte wie der Kauf von Rohmaterialien sind dabei nur ein erster Schritt, der mit einer Should-Costing-Analyse ermöglicht wird. Ist das Verhältnis zum Lieferanten vertrauensvoll  genug, kann auch über den Einsatz neuer und effizienterer Produktionsprozesse oder Maschinen diskutiert werden, um die Kosten für beide Seiten weiter zu senken.

Fazit

Richtig eingesetzt kann Should Costing die gesamte Lieferkette verbessern. Der Kunde freut sich über Einsparungen, der Lieferant wird wettbewerbsfähiger. So rechnen sich die komplexen Analysen am Ende für beide Parteien. Should Costing ist aber kein Mittel, dass sich schnell angehen lässt und mit einem Durchlauf erledigt ist. Wichtig ist dranzubleiben: Materialkosten ändern sich ständig, neue Produktionsverfahren werden entwickelt, neue Firmen treten in den Markt ein. Wer den Wissensvorsprung seiner Lieferanten nicht wieder wachsen lassen will, muss sein eigenes Know-How über die Kostenstrukturen pflegen.