Handelsblatt - Nach Angriffen im Roten Meer drohen Lücken in deutschen Regalen

Nach Angriffen im Roten Meer drohen Lücken in deutschen Regalen

Händler und Konsumgüter-Hersteller müssen wochenlang auf Waren warten. Reedereien nutzen die Krise für höhere Gewinne – die Rechnung zahlt vorwiegend eine Kundengruppe.

In den Logistikabteilungen der deutschen Handelsunternehmen wächst die Nervosität. „Mu-Err-Pilze, Bambus, Mangos und spezielle Gewürze importieren wir nur aus Fernost“, sagt Felix Ahlers, Inhaber des Tiefkühlunternehmens Frosta. „Wenn diese Zutaten für unsere vielen asiatischen Tiefkühlgerichte fehlen, haben wir nicht immer Alternativen.“

Zwei Monate seitdem jemenitische Huthi-Milizen wiederholt Handelsschiffe im Roten Meer angreifen, zeigen sich immer klarer die Auswirkungen auf die Lieferketten des deutschen Einzelhandels. „Es gibt eindeutig ein Risiko, dass wir Regallücken in den Geschäften sehen“, warnt Julien Cote vom Logistikdienstleister Wakeo.

Besonders heikel ist die Situation bei Sportartikeln oder Kleinelektronik. „Bei Smartphones, Bildschirmen oder Laptops können einzelne Modelle fehlen“, sagt Patrick Lepperhoff, Lieferkettenexperte der Beratung Inverto.

„Die Händler, die kurzfristige Saisonware anbieten, sind am stärksten betroffen, wie beispielsweise Fast-Fashion-Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf einem regelmäßigen Kollektionswechsel basiert“, erklärt Logistikexperte Cote. „Wenn die Waren von Fast-Fashion-Händlern zwei Wochen später ankommen, verpassen sie das Verkaufsfenster für ihre Ware, das trifft sie hart.“

Die Situation ist jedoch in vielen Fällen eher noch schwieriger. „Das dauert bis zu vier Wochen länger und erhöht folglich die Kosten“, heißt es beispielsweise beim Arbeitsbekleidungsanbieter Engelbert Strauss. Dennoch finde man mit den Partnern „Lösungen, die unsere Lieferfähigkeit an unsere Kunden weiter gewährleisten“, so ein Sprecher.

Einige Unternehmen weichen auf Luftfracht aus, aber das erhöht die Kosten gleich um das Zehn- bis Fünfzehnfache.

Daniel Terberger vom Modedienstleister Katag in Bielefeld, der für mehr als 300 Modehäuser unter anderem den Einkauf organisiert, hat eine Faustregel: „Relativ günstige Produkte mit kleinen Margen sind tendenziell stärker von den steigenden Logistikkosten betroffen als höherpreisige Kleidungsstücke.“ Er rechnet damit, dass es bei einer längerfristigen Beeinträchtigung der Seeroute durch das Rote Meer zu Preissteigerungen bei Endverbrauchern um bis zu zehn Prozent kommen könnte.

Ikea und Aldi Nord warnen vor verlängerten Lieferzeiten

„Einige Unternehmen weichen auf Luftfracht aus, aber das erhöht die Kosten gleich um das Zehn- bis Fünfzehnfache“, berichtet Logistikexperte Cote. Doch für die meisten Händler sei das bei den knappen Margen nicht möglich.

Die vom Handelsblatt befragten Unternehmen betonen, die Situation bringe sie nicht in ernste Schwierigkeiten. Frosta-Chef Felix Ahlers stellt klar: „Wenn wir mit einigen unserer 100 Produkte mal nicht lieferfähig sind, ist das nicht das totale Desaster.“ Auch Tchibo stellt sich auf die neue Lage ein. „Direkt nach den ersten Angriffen auf Handelsschiffe hat unser Krisenteam Maßnahmen ergriffen, um Lieferverzögerungen zu reduzieren, beziehungsweise deren Auswirkung zu minimieren“, sagte ein Sprecher – eine Herausforderung bei den ständig wechselnden Sortimenten des Händlers.

Ikea

Auch andere Händler, die preiswerte Aktions- und Saisonware anbieten, haben Schwierigkeiten. So hat Ikea beispielsweise schon vor Lieferverzögerungen gewarnt. Auch Aldi Nord rechnet mit verlängerten Lieferzeiten: „Gemeinsam mit unseren Lieferanten und Logistikpartnern arbeiten wir aber daran, die Auswirkungen so gering wie möglich zu halten“, teilte das Unternehmen mit.

Viele Unternehmen haben sich grundsätzlich besser auf Verwerfungen in der Lieferkette eingestellt. „Wir haben aus den Krisen der Vergangenheit, wie dem Unfall im Suezkanal und den Lieferproblemen in der Pandemie, gelernt und planen für die Belieferung der Saisonware grundsätzlich etwas mehr zeitlichen Puffer ein als früher“, erklärt Burkhard Schültken, Logistikchef von Woolworth.

Die gestiegen Logistikkosten dürften die Preise für Konsumgüter treiben

„Die Ware für das Ostergeschäft haben wir beispielsweise schon eingelagert“, so Schültken. Das führe zwar zu höheren Lagerkosten, sei aber notwendig, um sich auf die unsicheren Zeiten einzustellen. Und: Die Verlängerung der Transportwege und die Umstellungen der Lieferketten sind teuer.

Burkhard Schültken, Logistikchef Woolworth

„Die Seefrachtkosten haben sich von November 2023 bis heute nahezu verdreifacht, was schon die Frage aufwirft, ob hier auch Mitnahmeeffekte eine Rolle spielen“, kritisiert Schültken die Reedereien. Das sehen Experten ähnlich. „Frachtunternehmen haben mitunter die Lage genutzt, um ihre Margen zu optimieren“, vermutet auch Berater Lepperhoff von Inverto. So haben sich die Frachtraten für einen Standardcontainer seit Oktober von unter 1500 auf knapp 5000 Dollar verteuert.

Auch Konsumgüterhersteller bereiten sich auf mögliche Lieferengpässe vor. Höhere Logistikkosten schlagen sich auf die Preise der Rohwaren durch, die sonst durch den Suezkanal nach Europa gelangen. Das könnte sich wiederum mit Zeitverzögerung auf die Verbraucherpreise auswirken. „Hersteller müssen die gestiegenen Transportkosten in der Regel weitergeben. Auch wenn dies oft nur teilweise und mit Zeitverzögerung geschieht“, stellt Lieferkettenexperte Lepperhoff klar. „Die gestiegenen Logistikkosten sind ein Inflationstreiber.“

Eine Langzeitstudie des Internationalen Währungsfonds belegt, dass sprunghaft gestiegene Frachtpreise einen Anstieg der Inflationsrate nach sich ziehen: Verdoppeln sich die Frachtraten, steigt die Inflation um etwa 0,7 Prozentpunkte.

Teekanne aus Düsseldorf bezieht rund die Hälfte seiner Rohwaren über den Suezkanal. Neben Schwarz- und Grüntee sind verschiedene Kräuter und Früchte betroffen, die Teekanne aus China und Ostafrika importiert. „Die Mehrkosten für den Umweg um Afrika belaufen sich auf einen hohen sechsstelligen Betrag für ein ganzes Jahr“, schätzt Teekanne-Chef Frank Schübel. Sollte der Konflikt länger anhalten, müssten zunächst alle Frachtraten neu verhandelt werden. „Wie sich dies auf unsere Abgabepreise auswirken würde, hängt von einem Mix aller Kostensteigerungen ab“, so Schübel.

Teekanne-Chef sieht Versorgung durch Bürokratie erschwert

Echte Engpässe werden bei Lebensmitteln aber eher die Ausnahme bleiben. Das gilt selbst für Palmöl, das zu 85 Prozent aus Malaysia und Indonesien kommt. „Palmöl ist unverzichtbar für die Herstellung vieler Lebensmittel wie Schokolade und Margarine sowie für Wasch-, Pflege- und Reinigungsmittel“, sagt Gerhard Brankatschk, Geschäftsführer des Ölsaatenverbands Ovid. Derzeit sind in der EU ausreichend Lagerbestände vorhanden. Das bestätigt auch Rama-Hersteller Upfield.

Gewürze und Kosmetik sind weiterhin lieferbar

Ähnlich ist es bei Gewürzen, die auch sehr oft aus Indien oder China stammen. Der Gewürzhersteller Avo aus Osnabrück bezieht 35 Prozent seiner Gewürze und Zusatzstoffe aus Asien. Dazu zählen weißer Pfeffer, Muskatnüsse, Curry, Gemüsepaprika, Knoblauch und Zwiebeln. Avo-Gewürze finden sich in Gerichten von Apetito bis McDonald’s. „Es entstehen kurzfristig Knappheiten in der Gewürzbranche, aber es gibt keine größeren Lieferengpässe“, betonen Avo-Beirätin und Gesellschafterin Anna Breun und die Geschäftsführung.

Auch große Kosmetikhersteller planen infolge der Angriffe mit längeren Lieferzeiten und höheren Kosten, fürchten aber keine Folgen für die Verfügbarkeit ihrer Produkte im Handel. Nivea-Hersteller Beiersdorf baut bestehende Lagerbestände ab. Die Auswirkungen für den Endverbraucher ließen sich so „auf ein Minimum begrenzen“. Ähnlich äußerte sich Persil-Produzent Henkel.

Das Familienunternehmen Cosnova, das so viele Lippenstifte wie keine andere Firma in Deutschland verkauft, bezieht vor allem Verpackungen aus Asien. Bei Waren von dort würde man ohnehin mit größerem Vorlauf bestellen. Die Lieferzeiten verlängerten sich derzeit um drei Wochen. Die Hessen beziehen 90 Prozent ihrer Produkte aus Europa. Bei zeitkritischen Waren setze man auf Luftfracht.

Quelle: Handelsblatt vom 29.01.2024

Autoren: Florian Kolf, Anja Müller, Michael Scheppe, Katrin Terpitz

Dokumentennummer: HB_100009472

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