manager magazin - "Manager brauchen dringend Notfallpläne"

„Manager brauchen dringend Notfallpläne“

Das Niedrigwasser in Rhein und Donau hat viele Unternehmen überrascht. Das hätte nicht sein müssen, sagt Lieferketten-Experte Patrick Lepperhoff im Interview. Manager sollten damit beginnen, realistische Notfallpläne zu entwickeln.

manager magazin: Herr Lepperhoff, BASF meldet die Stilllegung einer Produktionsanlage in Ludwigshafen, auch viele andere Unternehmen müssen gerade ihre Fertigung drosseln, weil der Rhein einen historisch niedrigen Pegelstand erlebt. Wie dramatisch ist die Lage aktuell?

Lepperhoff: Gut 220 Millionen Tonnen Güter werden auf Deutschlands Wasserstraßen pro Jahr transportiert. Vor allem Kraftstoffe, Kohle und chemische Rohstoffe werden vielfach per Schiff transportiert, Benzin und Diesel in den Häfen in Lastwagen umgefüllt. Wegen des Niedrigwassers können die Schiffe aber immer weniger transportieren, sodass die bestellten Liefermengen schlicht nicht ankommen. Aktuell ist die Lage aber noch überschaubar, es erfolgen Transporte weiterhin über den Rhein, wenn auch mit deutlich weniger Gewicht. Die Mehrkosten dafür werden die Unternehmen umwälzen auf die entsprechenden Kunden.

Was tun Unternehmen gerade, um sich aus dieser Misere zu retten?

Viele versuchen auf die Straße auszuweichen. Aber Lastwagen haben eine viel geringere Kapazität als die Binnenschiffe. Die Beförderung auf dem Wasser ist dem Transport auf der Straße und selbst auf der Schiene in Sachen Umweltverträglichkeit und Kosten weit überlegen. Der Gütertransport mit dem LKW oder dem Zug wiederum kann von Wetterereignissen wie Starkregen oder Unwettern beeinträchtigt werden, wie das Ahrhochwasser letztes Jahr zeigte.

Bereits im Oktober 2018 gab es Niedrigwasser im Rhein. Waren Unternehmen auf den erneuten Fall schlecht vorbereitet?

Ja. Auf externe Faktoren sind viele Manager schlecht vorbereitet. Die meisten Unternehmen wissen generell nicht, ob und welche Wetterrisiken ihre Produktionsabläufe überhaupt stören können. Dabei ist die Überlegung eigentlich eine einfache: Schiffe brauchen Wasser unter dem Kiel – und durch den Klimawandel kann es sein, dass sich die Wasserstraßen künftig immer wieder in Rinnsale verwandeln. Allgemein wissen wir, dass es häufiger extreme Wetterlagen geben wird. Also brauchen Manager dringend Notfallpläne.

Das haben Unternehmen schon seit Beginn der Coronapandemie zu spüren bekommen. Hat sich seither gar nichts verändert?

Doch. Risikomanagement ist deutlich stärker auf die Agenda gerückt. Viele Unternehmen haben jetzt auch deutlich kleinere Probleme als etwa 2018, weil sie inzwischen durch die Pandemie gelernt haben. Wir haben deutlich weniger Produktionsabrisse, weil Lagerbestände aufgebaut wurden. Das ist gut. Unternehmen versuchen sich auch vielfach wieder lokaler aufzustellen, um unabhängiger zu werden.

Die lokale Produktion wurde hauptsächlich aus Kostengründen ins Ausland verlagert. Hat sich das nun verändert?

Ja, mit den Risikofaktoren, die auf uns zukommen, könnte sogar die lokale Produktion preislich vergleichbar sein. Bedenkt man, dass Logistikpreise vor einigen Jahren noch 2000 Euro pro Container betragen haben, ist es heute schon das fünf- bis sechsfache von Asien nach Europa. Da lohnt es sich durchzurechnen, wie teuer die Produktion in Europa sein kann, wenn dadurch Lieferkosten deutlich reduziert werden können und die Liefersicherheit steigt. Es bedarf also einer vollständigen Kostenanalyse. Auch im Elektroniksektor werden wir Verlagerungen nach Europa sehen. Unternehmen, die sich aktuell bereits mit der Verlagerung der Produktion Richtung Europa befassen, planen dabei auch verstärkt mit der Automatisierung der Produktion. So können Lohnkostenvorteile in Asien kompensiert werden. Bis das funktioniert und mit allen politischen Rahmenbedingungen geklärt ist, wird es allerdings mindestens noch fünf Jahre dauern.

Ist das möglicherweise das Ende der Globalisierung?

Teilweise. Die lokale Produktion wird natürlich nur für bestimmte Rohstoffe und für bestimmte Warengruppen funktionieren, man bedenke allein die Beschaffung von Kobalt oder Lithium in der Autoindustrie. Wir müssen und können jetzt nicht alles zurückverlagern. Aber es ist schon einmal gut, dass Unternehmen anfangen, sich damit auseinanderzusetzen. Dafür sollten sich Unternehmen ihre Lieferketten anschauen. Aber hier liegen derzeit die Hauptprobleme, da verschiedene Lieferanten-Level oft nicht bekannt sind und Manager nicht sagen können, wer für welche Stelle in der Lieferkette verantwortlich ist.

Die Offenlegung der eigenen Vorlieferanten sollte dabei doch eigentlich nicht zu schwer sein?

Doch, das ist wirklich schwierig. Wir haben vor allem in Deutschland eine historisch gewachsene Herrschaft über Daten, einige Zulieferer wollen ihre Daten über ihre Lieferanten nicht offenlegen, damit sie nicht anderweitig genutzt werden. Viele Unternehmen, die wir beraten, können uns daher oft nur ihren direkten Vorproduzenten nennen. Das reicht aber nicht.

Manager wissen also häufig gar nicht, wo das Problem liegt, wenn eine Lieferkette unterbrochen wird?

Manager wissen häufig nur, wo der Vorlieferant seinen Produktionsstandort hat. Wenn dann aber das Rohmaterial für einige Produkte nicht zur Verfügung steht und das Vorprodukt gefährdet ist, stehen viele ratlos da. Daher gilt jetzt dringend: Lieferanten, Logistiknetzwerk und das gesamte Produktionsnetzwerk endlich einmal abzuklappern. Das ist anstrengend, aber es muss sein. Die Transparenz über Vorlieferanten, deren Produktionsstandorte und Lieferquellen für Input-Materialien ist einer der elementaren Bestandteile des gesamten Risikomanagements.

Wie gehen Sie dann als Lieferkettenmanager auf das Unternehmen zu?

Wir versuchen die gesamte Lieferkette, vom Rohmaterial, bis hin zum Vorproduzenten offenzulegen und sehr viel stärker im Rahmen von Netzwerken zu denken, um dann den idealen Output zu generieren. Es reicht nicht mehr, dass sich jeder Lieferant selbst ein wenig optimiert. Das gesamte Netzwerk muss gemeinsam verbessert werden, damit auch bei externen Einflüssen ein reibungsloser Ablauf der Produktion möglich ist.

Sind Manager bereit, sich solchen Änderungen zu unterwerfen?

Die Anpassungsfähigkeit ist in Deutschland auf einem guten Niveau. Unternehmen sind relativ gut durch die Krise gekommen. Sie haben das Zusammenbrechen des internationalen Transports auf dem Seeweg trotz deutlicher Verzögerungen in den Lieferketten gemeistert. Die Konsumenten standen daher hier nie vor komplett leeren Regalen. Wenn alle gute Maßnahmenkataloge gehabt hätten, wäre vieles auch strukturierter gelaufen. Unternehmen sind derzeit permanent in einem Feuerlöschmodus. Das hat auch gut funktioniert in der Vergangenheit, ist aber keine Dauerlösung. Wirklich gut durchkommen werden in der Zukunft diejenigen, die sich die Zeit genommen haben, Maßnahmenpläne zu entwickeln.

Wie sehen denn Maßnahmenpläne für etwas aus, das ich nicht beeinflussen kann?

Das Problem ist natürlich, dass viele Events nicht vorhersehbar sind und waren. Kein Unternehmen hat prognostiziert, dass die Seefracht massiv teurer wird, dass ein Schiff im Suezkanal 2021 stecken bleibt und den Frachtmarkt abwürgt. Niemand wusste, dass Corona die Welt lahmlegen würde und ganze Frachtströme zwischen Asien und Europa abreißen. Und jetzt haben wir die Gasknappheit und das Niedrigwasser im Rhein. Aber Manager haben vielfach noch keine Risikopläne. Sie versuchen ihre Produktion immer nur am Laufen zu halten und beschäftigen sich zu wenig mit möglichen Szenarien.

Gibt es denn auch Konflikte, die vorhersehbar sind?

Ja. Der Konflikt zwischen Taiwan und China könnte das nächste Problem werden, was vor der Tür steht. 60 Prozent unserer Halbleiter kommen aus Taiwan. In welchen Geräten findet man heute keine Halbleiter mehr? Wenn diese nicht mehr ankommen, würde die gesamte Industrie lahmgelegt werden. Aber auch Klimawandel und andere politische Konflikte stellen Unternehmen vor Herausforderungen. Daher bedarf es eines guten Risikomanagements und Überlegungen, was Themen sein könnten, die auf uns zukommen und uns beeinflussen können. Das ist natürlich ein Blick in die Glaskugel. Aber für die wahrscheinlichsten Szenarien einen vollumfänglichen Maßnahmenplan zu haben, ist essenziell.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Sehr stark ist derzeit der ganze Industrie- und Automotive-Bereich betroffen und alle Unternehmen, die Elektronikkomponenten verarbeiten. Hier steht die Krise seit zwei Jahren auf der Agenda und wird sich auch kurzfristig nicht lösen. Wichtig ist es daher nun das Engpassmanagement zu unterstützen. Es gibt etwa erste Tendenzen, dass die Produktion priorisiert wird, also geschaut wird, welche Produkte weggelassen werden können und welche unbedingt weiter produziert werden müssen, um dann gemeinsam den optimalen, beispielsweise margenstärksten, Output zu erreichen.

Seit Frühjahr ist auch ersichtlich, dass es im Winter zur Gasknappheit kommt. Wie können sich Manager darauf vorbereiten?

Die Bundesnetzagentur wird bis Oktober ankündigen, wer mit wie viel Gas versorgt wird. Da noch nicht ersichtlich ist, wie der Verteilungsschlüssel aussehen wird, sind Unternehmen gefordert verschiedene Szenarien jetzt schon durchzuspielen. Sie sollten sich fragen, wie viel sie produzieren können, wenn sie nur 10 oder 30 Prozent des normalen Verbrauchs bekommen und welche Produkte und Linien sie priorisieren, wenn sie mehr oder weniger Gas erhalten. Dafür müssen sie Output und Effizienz abwägen und überlegen, auf welche Alternativen sie zurückgreifen können.

Unternehmen, die vollständig von Gas abhängig sind, haben solche Pläne nie erstellt?

Nein. Weil sie nie damit gerechnet haben, dass der Gashahn einmal zugedreht werden könnte. Dieses Szenario war lange so unwahrscheinlich, dass Aufwand für die Erstellung von Notfallplänen lieber gespart wurde. Und so stehen wir nun vor großen Herausforderungen.

Derzeit sind daher auch wieder vermehrt Alternativen wie Atom- und Kohlekraftwerke im Gespräch, sowie noch mehr Straßenverkehr. Eigentlich versuchen Unternehmen mehr in Richtung Nachhaltigkeit zu denken, müssen im Zuge der Extremsituationen aber wieder vermehrt auf weniger nachhaltige Alternativen zurückgreifen. Hört der Kreislauf dadurch jemals auf?

Die Spanne zwischen Klimaschutz und Katastrophenbewältigung ist sehr dünn. Ganz viele Unternehmen haben in den letzten Jahren angefangen und versucht herauszufinden, welche Emissionen ihre Produkte entlang der Lieferkette auslösen. Auch hier hilft die Transparenz in den Wertschöpfungsketten und das Durchspielen von Szenarien. Erst dadurch bekommen sie eine Grundlage, um mittelfristig Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen.

Quelle: manager-magazin.de vom 20.08.2022

Autor: Maren Jensen

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