Energiepreise sinken auf Vorkrisenniveau
Nach Jahren der Rekordsprünge an den Energiebörsen haben sich die Preise für Strom und Gas wieder normalisiert. Das kommt auch in der Industrie an. Allerdings nicht bei allen Unternehmen.
Düsseldorf. Nach Rekordpreisen für Strom und Gas sind die Energiekosten wieder auf dem Vorkrisenniveau angekommen. Das kommt auch in der energieintensiven Industrie an: Unternehmen berichten dem Handelsblatt, dass sich die gesunkenen Preise bereits in den Geschäftszahlen bemerkbar machen. In einzelnen Fällen sind die Energiekosten um fast 30 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr gesunken.
Die Strompreise im Großhandel sind seit Sommer 2022 um 80 Prozent gesunken. „Für die nächste Zeit ist daher mit einer Reduzierung der Strombezugskosten für die Industrie zu rechnen“, sagt auch Sven Kreidelmeyer, Stromexperte beim Forschungsunternehmen Prognos. Unternehmen schließen auf Basis der Großhandelspreise ihre Verträge mit den Lieferanten ab. Die Gaspreise sind sogar um 90 Prozent gefallen.
„Auch bei uns machen sich die gesunkenen Strom- und Gaspreise bemerkbar“, berichtet ein Sprecher des Stahlherstellers Salzgitter AG. Die günstigeren Konditionen, die der Konzern sich am Markt sichern konnte, schlagen sich schon in den Unternehmensergebnissen nieder.
Bei vielen Unternehmen wird die Entlastung bei den Energiepreisen jedoch durch andere Effekte überdeckt. „Rückgänge bei der Konjunktur, staatliche Eingriffe bei den Netzentgelten und der CO₂-Besteuerung erhöhen die Kosten künstlich“, berichtet der Industrieverband der Feuerverzinker. „Im Vergleich zu anderen Regionen der Welt, in denen unsere Mitbewerber produzieren, bleiben die relativen Energiekosten in Deutschland weiterhin hoch“, heißt es auch vom Kupferkonzern Aurubis.
Tatsächlich kostet Industriestrom in den USA aktuell viel weniger als in Deutschland. Bei den Gaspreisen ist es sogar noch extremer. Trotz des jüngsten Rückgangs ist Gas in Deutschland laut Branchenexperten weiterhin um das Vier- bis Fünffache teurer als in den USA.
Zwei Jahre lang waren die Strom- und Gasbörsen im Ausnahmezustand. Preissprünge von mehreren 100 Euro innerhalb weniger Stunden waren keine Ausnahme, Energiehändler rutschten in die Pleite, und vor allem kleinere Industrieunternehmen konnten ihre Energierechnungen kaum noch stemmen.
Energiepreise: Unternehmen decken sich bei Energielieferanten ein
Jetzt scheint die Preisrally aber erst einmal zu Ende zu sein. Aktuell kostet eine Megawattstunde (MWh) Gas auf der niederländischen Handelsplattform TTF nur noch 25 Euro. Auch die Terminkontrakte für 2025 liegen bei knapp 26 Euro und damit nur unwesentlich höher als vor Ausbruch der Energiepreiskrise.
Energielieferanten beobachten jetzt, wie Unternehmen sich in großem Maße eindecken. „Wir schließen gerade einen Vertrag nach dem anderen ab“, berichtet der Manager eines größeren Stadtwerks. Ein Großteil der Verträge läuft in der Regel über individuelle Vereinbarungen mit Laufzeiten zwischen einem und drei Jahren. Und die Preise seien tatsächlich wieder auf Vorkrisenniveau, sagen mehrere Energiehändler übereinstimmend.
Das wird besonders bei einem Blick auf die Strompreisentwicklung sichtbar. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) erhebt jeden Monat einen Durchschnittspreis für kleine bis mittlere Industriebetriebe, in dem auch die Steuern und Umlagen eingerechnet sind. Zu Jahresbeginn 2024 liegt dieser Preis bei 17,64 Cent pro Kilowattstunde, 28 Prozent unter dem Jahresdurchschnitt 2023 – und so günstig wie seit sechs Jahren nicht mehr.
Zum Rückgang tragen nicht nur die niedrigeren Beschaffungskosten für Strom bei, auch die Umlage für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) ist komplett weggefallen. Zusätzlich ist die Stromsteuer gesunken. Im vergangenen Jahr mussten Industrieunternehmen noch 1,54 Cent pro Kilowattstunde zahlen, in diesem Jahr sind es nur noch 0,05 Cent.
Und damit nicht genug: „Die geplanten Investitionen in die Netze lassen weitere Erhöhungen erwarten, welche konkret in Deutschland das Niveau noch weiter vom weltweiten Wettbewerb entfernen“, sagt ein Sprecher von Aurubis.
Der Konzern wies für das erste Quartal des laufenden Geschäftsjahres 2023/24 Energiekosten von rund 46 Millionen Euro aus. Im Jahr zuvor hatten die Kosten noch bei 73 Millionen Euro gelegen. Damit sind die Energiekosten um satte 36 Prozent gesunken.
Für den Kupferkonzern sind aber insbesondere die relativen Energiepreise relevant, also wie hoch die Preise im Vergleich zu Konkurrenzregionen sind. Hier sieht Aurubis sich durch die Rahmenbedingungen im globalen Wettbewerb benachteiligt. „Im Vergleich zu anderen Regionen der Welt, in denen unsere Mitbewerber produzieren, bleiben die relativen Energiekosten in Deutschland weiterhin hoch“, heißt es von dem Unternehmen. Die Feuerverzinker finden noch deutlichere Worte: „Im europäischen Vergleich sind die Energiekosten aufgrund der höheren Abgaben und Steuern nicht wettbewerbsfähig.“
Nach den Worten von Stromexperte Kreidelmeyer liegen die deutschen Preise in Europa aber zumindest noch „im Mittelfeld“. Frappierend ist dagegen der Vergleich mit den USA. Dort kostet eine Kilowattstunde Strom für Industriekunden aktuell nur acht US-Cent.
Der Chemiekonzern BASF teilte auf Anfrage mit, man profitiere zwar von den derzeitigen Spotpreisen im europäischen Gasmarkt im Vergleich zu den Jahren 2022 und 2023. Allerdings seien weder die Gasverbrauchsmengen, die absoluten Preise noch das Verhältnis zu internationalen Preisindizes auf dem Niveau vor 2021. Zudem belasten gestiegene Netzgebühren und Umlagen die aktuellen Preise erheblich.
Experte: Industrie profitiert bereits von Strompreiskompensation
Um hierzulande mithalten zu können, fordert die energieintensive Industrie weitere Entlastungen – etwa eine Befreiung von der CO₂-Steuer und den Netzentgelten.
Dabei profitieren die Unternehmen bereits von umfangreichen Sonderregelungen. Kreidelmeyer verweist vor allem auf die sogenannte Strompreiskompensation. Die Strompreiskompensation ist eine staatliche Beihilfe für Unternehmen, die in bestimmten Sektoren, wie etwa der energieintensiven Industrie, tätig sind. Sie befreit die Unternehmen von den Kosten des CO₂-Emissionshandels, die bei der Stromproduktion anfallen.
Beschaffungsexperten sehen ein gemischtes Bild bei den Unternehmen. „Die gesunkenen Preise werden vor allem diejenigen Firmen entlasten, die ihren Energiebedarf weiterhin kurzfristig am Terminmarkt decken oder deren Beschaffungsverträge bald auslaufen“, sagt Stefan Benett, Energieexperte bei der Einkaufsberatung Inverto.
Allerdings habe ein beträchtlicher Teil der Unternehmen in den vergangenen Jahren teilweise Verträge zu höheren Konditionen mit den Versorgern abgeschlossen, die noch länger laufen. Viele hätten bewusst längerfristige Vertragsmodelle gewählt, um Planungssicherheit zu haben und weiteren Preissteigerungen auf den Strom- und Gasmärkten zu entgehen.
„Die Preise sind zwar gefallen, liegen aber noch immer deutlich über dem Niveau anderer Länder“, sagt auch Benett. In den USA notieren die Gaspreise sogar unterhalb des Durchschnittswerts der Jahre 2017 bis 2021 – wie die Entwicklung des sogenannten Henry-Hub-Index zeigt.
Auch Benett sieht Deutschland und Europa im internationalen Standortwettbewerb für energieintensive Produktionen im Nachteil. „Viele Länder haben strukturell niedrigere Energiekosten. Das Risiko der Abwanderung und Verlagerung von Anlagen ist weiterhin hoch“, sagt der Energieexperte.
„Die Energiepreise werden in Deutschland und in der EU vergleichsweise höher bleiben als vor dem Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine“, erwartet die Ratingagentur Moody’s. Zudem würden die Preise angesichts erhöhter geopolitischer Risiken volatil bleiben. Moody’s sieht ein erhöhtes Kreditrisiko für die energieintensive deutsche Industrie.
Chemikalienpreise sinken
In der Chemieindustrie zeigt sich aktuell ein weiterer Effekt, der eine Entlastung durch gesunkene Strom- und Gaspreise relativiert: Die Verkaufspreise für Chemikalien und Kunststoffe sind ebenfalls kräftig zurückgegangen. Das liegt an der schwachen Konjunktur und teils auch an billigen Importen, etwa aus China. Der Preiskampf ist besonders in der volumenstarken Basischemie intensiv. Niedrigere Gaseinkaufskosten werden über Verkaufspreise allerdings umgehend an die Kunden weitergegeben.
Am Beispiel Covestro zeigt sich, dass die Entlastungen durch billigere Energie im Gewinn nicht voll ankommen, weil auf der anderen Seite die Verkaufspreise einbrechen. Der Kunststoffhersteller profitierte von den zuletzt kräftig gesunkenen Gaspreisen. 2022 hatte der Konzern noch 1,6 Milliarden Euro für die benötigte Energie ausgegeben, 2023 waren es nur noch 1,1 Milliarden Euro. Für 2024 geht Covestro von 1 bis 1,1 Milliarden Euro aus.
Das ist aber immer noch deutlich mehr als vor Ausbruch des Ukrainekriegs, als die jährliche Summe bei 600 Millionen Euro lag. Bei den Stromkosten ist die Entlastung aktuell deutlich geringer, was an höheren Netzentgelten und anderen Aufschlägen liegt. Im Ergebnis für 2023 hat dies Covestro aber nur bedingt geholfen. Die Gewinneinbußen durch den Preisrückgang lagen deutlich über dem, was bei Energie- und Rohstoffen an Kosten eingespart wurde. Am Ende stand für 2023 ein Rückgang des operativen Gewinns um 33 Prozent.
Quelle: Handelsblatt vom 07.03.2024
Autoren: Bert Fröndhoff, Isabelle Wermke, Kathrin Witsch
Alle Rechte vorbehalten: (c) Handelsblatt GmbH – Zum Erwerb weitergehender Rechte: nutzungsrechte@handelsblattgroup.com