New Work war nicht für die Wirtschaft gedacht
Der Psychologe Markus Väth ist einer der renommiertesten New-Work-Experten der Welt. Im Interview erklärt er, warum die Idee hinter dem Konzept oft missverstanden wird, sich gerade etablierte Unternehmen mit der Umsetzung häufig schwertun und wie der Wandel doch gelingen kann.
Herr Väth, New Work ist in der Wirtschaft so präsent wie noch nie. Hat das Thema durch die Corona-Pandemie Hochkonjunktur?
Ganz provokant gesprochen: Nicht New Work hat durch Corona Schwung erhalten, sondern das, was die Menschen dafür halten. Wir sprechen über Themen wie die Digitalisierung. Aber das ist bestenfalls das Fundament, auf dem man wirkliches New Work aufsetzen kann. Die Debatte leidet unter einer grausamen Verkürzung.
Was läuft denn in der Debatte schief?
Viele vergessen, dass New Work überhaupt nicht für die Wirtschaft entwickelt wurde. Frithjof Bergmann (Begründer der New-Work-Idee) hatte es eher als gesamtgesellschaftlichen Entwurf angelegt. All die Maßnahmen, die wir jetzt diskutieren, sind nur eine Ableitung dieser Grundidee. Darunter fallen dann Begriffe wie Homeoffice, New Office oder Activity Based Working.
Also kann New Work in einem Unternehmen allein eigentlich nicht funktionieren?
Das würde ich so auch nicht sagen. Ein Unternehmen kann durchaus erfolgreich New-Work-Ansätze implementieren, wenn es kulturell dafür aufgestellt ist. Das sind aber die wenigsten. Denn dann müsste man etwas am grundsätzlichen Menschenbild ändern. Das ist aber in der Wirtschaft oft noch von Denkern wie Michael E. Porter dominiert, die mit Metaphern von Schlachtfeldern, Sieg oder Niederlage arbeiten. In einem solchen Umfeld funktioniert New Work nicht. Für New Work müssen die Dimensionen Gesellschaft, Emotion und Menschlichkeit mitgedacht werden.
Was umfasst diese menschliche Dimension?
Es geht darum, wie Führungskräfte geschult und wie stark kollektive Prozesse ausgeprägt sind. Es geht um die Frage, wie autonom die Mitarbeitenden agieren dürfen. Zentral ist, dass sie wissen, warum und wofür sie ihre Arbeit eigentlich machen. Und ihnen muss die Chance gegeben werden, sich weiterzuentwickeln.
Das klingt ohne Frage schwieriger, als einfach eine Homeoffice-Richtlinie zu verfassen.
Wie kann es gelingen, so etwas in einem Unternehmen umzusetzen?
Es braucht drei Dinge, um jedes New-Work-Thema durchzusetzen. Erstens: Sie müssen alle Menschen im Unternehmen an der Transformation beteiligen. Ansonsten gelingt kein grundlegender Kulturwandel. Akzeptieren Sie aber, dass Sie nicht jede:n auf dem Weg mitnehmen können, 100 Prozent Zustimmung gibt es nie. Zweitens: Die Verantwortlichen, wer auch immer die sind, müssen mitziehen. Wenn der:die Geschäftsführende New Work verordnet, aber es selbst nicht umsetzt, kann das nicht funktionieren. Und drittens: Sie müssen Prozesse schaffen, um den Umbau zu begleiten und zu steuern.
Über welche Prozesse reden wir hier?
Zunächst braucht es Prozesse zum Informationsaustausch. Es muss also darüber gesprochen werden: Was wollen wir erreichen? Wie kommen wir dahin? Welche Schwierigkeiten könnte es geben? Daran anschließend sollten Entscheidungsmodelle aufgesetzt werden, die dabei helfen, die Ergebnisse aus diesem Austausch auch umzusetzen. Dabei kann man sich zum Beispiel die Partizipationsleiter anschauen, ein Modell, das zeigt, wie weit es mit der Beteiligung einzelner in einem System her ist. Das beginnt ganz unten bei der Fremdbestimmung und endet in der Selbstverwaltung auf der höchsten Sprosse. Auf dieser Leiter wollen wir im New-Work-Wandel nach oben kommen.
Sie sagen, dass ein solcher Wandel möglich ist. Aber in großen Unternehmen scheint er sich meist auf einige kosmetische Maßnahmen zu beschränken.
Junge Unternehmen sind bei New Work oft weiter, das ist richtig. Da sind Leute an der Spitze, die vom bestehenden System frustriert sind und ihr Unternehmen von vornherein nach New-Work-Prinzipien ausrichten. Klassischen, gewachsenen Unternehmen fällt das naturgemäß schwerer, sie sehen sich viel mehr Beharrungskräften gegenüber. Sie müssen sich mit Betriebsräten und weiteren Gremien auseinandersetzen, ferner mit den Beschränkungen des Arbeitsrechts. Außerdem gibt es fest eingeübte Prozesse im Betrieb, die man nicht von heute auf morgen ändert. Ganz ehrlich: Da ist es fast leichter, rauszugehen und komplett neu zu starten.
Aber es gibt durchaus auch Beispiele von großen Firmen, denen der Schritt hin zu New Work gelungen ist. Der Bauzulieferer Schüco oder die Handelsgruppe Otto sind große Firmen, die das sehr gut machen.
Was vereint solche erfolgreichen Beispiele?
Die Treiber. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass fast immer einzelne Personen oder eine kleine Gruppe die Auslöser sind. Die brauchen natürlich den Goodwill von oben, eine Geschäftsführung, die ihnen sagt: „Macht mal“. Letztendlich brauchen Sie einige Hochmotivierte, die den Wandel vorantreiben.
Reicht dann auch eine kleine Gruppe Unternehmen, um als New-Work-Treiber für die gesamte Wirtschaft zu agieren?
Ein System macht immer das, was Sinn ergibt. Das klingt banal, bedeutet aber: Wenn Unternehmen mit New Work Erfolg haben, werden andere sich daran orientieren. Letztendlich geht es um Wertschöpfung. Dass New Work dazu beiträgt, dafür fehlt bisher allerdings der Beweis. Eben auch, weil das Konzept an und für sich nicht als Managementmodell gedacht war.
Also wird sich New Work in der eigentlichen Form eher nicht durchsetzen?
Gute Frage. Gerade in der aktuellen Zeit, in der unsere Wirtschaft permanent auf exogene Schocks reagiert, ist es schwer zu sagen, wie es weitergeht.
Ich finde, dass wir darauf hinarbeiten sollten, dass jeder Mensch die Arbeit bekommt, die seinen Stärken und Bedürfnissen entspricht. Es würde allen helfen, den Menschen, den Unternehmen und der Gesellschaft. Ob das dann am Ende New Work ist oder heißt, ist dann eigentlich egal. Vielen Dank für das Gespräch.
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